Reportage Burma

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„You don’t worry. No problem“.

Asiatische Begrüssung, mitten im Niemandsland, irgendwo zwischen Yangon Airport und Yangon City, 10 Uhr nachts, 30 Grad Lufttemperatur, feucht, das Privat-Taxi kraftlos am Strassenrand. Also no problem, der Kontakter und Travel Agent, wie er sich laut seiner Business Card bezeichnet, verkürzt Dir die Wartezeit, indem er Dir den Umrechnungskurs des Dollars zum Kyat, der einheimischen Währung, erklärt. Offiziell in banken gilt 1 Dollar für 6 Kyat, am Schwarzmarkt aber derzeit 900 Kyat, vor einem halben Jahr 1.200 und, yes, während des Thingyan, des 4-tägigen Wasserfestes und Höhepunktes der Hot Season, wird der Kurs fallen.

Mit den 3 Dollars, die Du dem Kontakter bezahlt hast, ist der Besitzer des Privatautos zur nächsten Tankstelle, nein, zur übernächsten, weil er dort am schwarzmarkt, um 20 % mehr bekommt (1 us dollar für 1 gallon) – für Dollars, die er offiziell gar nicht haben dürfte.

„Are you happy? Welcome to myanmar water festival!“ .

Thingyan ist der lang erwartete gloriose Höhepunkt der Hitze-Jahreszeit, und der Beginn des burmesischen Neujahrs. Ahnungslos bist du am Vortag gekommen, um dich heute – im wahrsten Wortsinn – mit Wasser überschüttet zu sehen. Auch von Menschen: jeder, der gehen oder fahren kann, kommt nach Yangon, der Hauptstadt von Myanmar, eine 4 Millionen Einwohner Stadt eines 50 millionen starken Landes, Burma.

Die besucher schlagen ihre Lager direkt an den belebtesten Plätzen, am Mittelstreifen zwischen den Fahrbahnen, am Gehsteig, zwischen 2 Bäumen auf. Abends, wenn du an ihnen vorbeischlenderst, hörst du Kleinkinderwimmern direkt neben den Motorgeräuschen, getrennt nur von dünnen aufgehängten Planen und Decken.

Water Fstival, da möchte jeder dabei sein. Die Schulen schließen für Wochen, die Büros für einige Tage. Nichts geht mehr, nur mehr das Wasser rinnt. Lokale Firmen haben quer durch die Stadt unzählige Podien errichtet, Schlauchsysteme installiert, Pumpen aufgestellt, und jetzt wird 4 Tage lang bei 35 grad Lufttemperatur Wasser gespritzt, was die Resourcen hergeben. Kleine Kinder stehen mit Plastikgeschirr oder leeren Konservendosen neben ausrangierten, mit wasser gefüllten Ölfässern, begossen bis in die kleinste Falte, strahlend über Gesicht und Herz; sie bespritzen jedes vorbeifahrende Auto mit erstaunlicher Treffsicherheit.

„Hello! How are you?“. Du als westlicher Individualtourist, in Myanmar ohnehin beäugt wie eine bunte Kuh, gibst ein formidables Ziel ab für ihren Segen. Das Wasser soll dich von allem im letzten Jahr unabsichtlich und unwissentlich angehäuftem schlechten Karma reinigen. Deshalb auch Thingyan, burmesisches Neujahr. In den Tempeln werden Buddhastatuen auf den Schultern mit Wasser übergossen, damit dem meditierenden Erwachten nicht heiss wird – in einer Zeit, in der in Zentralburma bis zu 40 Grad gemessen werden.

„Come with us!“, das Grösste, vor allem für die weibliche und männliche Adoleszenz, ist es, auf einem offenen Wagen die Wasserparaden zu durchfahren. Auf Lastwagen sind ganze Ortschaften versammelt, Fußballmannschaften gruppieren sich auf Pickups und Jeeps, und als du wiederholt aufgefordert wirst, aufzusteigen, nimmst du auf einem Geländewagen Platz um durch den Regenbogen zu fahren. Ein Tourist! Bei unserem Fest! Und alle Schläuche richten sich auf dich, den unerwarteten Weisshäutigen Mitspieler. Und von nun an – Stau hin oder her – alle 30 Meter bist du in der Gischt aufgelöst und verschwunden.

„They really like you!“, plärrt der Jeepfahrer durch den Wasserlärm zu dir durch. Am Vormittag sei eine Engländerin mitgefahren, die habe immer nur die Nase gerümpft und sei auch deshalb nur wenig angespritzt worden. Nicht so diesmal: jüngere und ältere Frauen lächeln dich verstohlen an, die männliche jugend gröhlt dir ein „Hello!“ aus tausenden Kehlen entgegen, beim Vorderwagen hebt ein Feuerwehrschlauch mit hohem druck einer frau am Wagen die Bluse: nur am Rücken und da nur für 20 cm. Genug, um der allgemeinen Ekstase noch eines draufzusetzen.

„Move on!“. Selbsternannte, im Tagesverlauf immer betrunkenere Hilfssherrifs regeln den Verkehr vor den Spritzpodien, Mangos mit Chilli, Spiesschen, hartgekochte Hühner- und ungekochte Wachteleier, Hummerchips, werden in den wasserfreien Zonen angeboten (um einen Spottpreis gemessen an westlichen Einkommen), und das z.t. von Kindern, die so armselig daherkommen, dass man auch dann noch kaufen möchte, wenn man schon längst nicht mehr essen kann.

Kinder, das sind die grosse Hoffnung für Myanmar. Die Seele dieses schönen Landes ist verwundet, ein Schatten liegt über der natürlichen Anmut der Menschen. Der Reisende wird auf der Strasse angeblickt, und nur die Augen erzählen von Neugier und Interesse – das restliche Gesicht verharrt in Argwohn und Skepsis. Wie wenn man in Europa – so denke ich – ein Erziehungsheim betritt. Und dann liegt es am Reisenden, diese Schatten zu vertreiben, den ersten Schritt zu tun. Und du senkst deinen Kopf zum Gruß, hebst deine Hand, öffnest dein Gesicht und dein Herz mit einem Lachen – und kleine Sonnen strahlen dir entgegen. Mit den Kindern gelingt das am Leichtesten, sie können noch ungehemmt lachen und ihre Neugier zeigen.

Im Wasserjeep bei der Rückfahrt kannst du dir auf einmal vorstellen, wie es dem Papst ergeht: Wagenladungen von Menschen versuchen deine Aufmerksamkeit zu ergattern und du kannst dir immer nur 2, 3 Gesichter fokussieren zu konzentriertem Gruß. Du verteilst deinen Segen und die allgemeine Freude und Ausgelassenheit ist durch einen kurzen Moment des Andersartigen bereichert worden.

Happy new year, Yangon, happy new year, Myanmar. Ich wünsch Dir das unbeschwerte Lächeln deiner Kinder. Mögen alle Wesen glücklich sein.