Erfülltes, Ausstellung Lebzelterhaus Vöcklabruck

Eröffnungsrede Pater Klaudius Winz, OSB

Sehr geehrte Damen und Herren,

als die ersten Eisenbahnen in der Mitte des 19. Jahrhunderts ihren Betrieb aufnahmen, war die Presse voller Warnungen, dieses neue Transportmittel zu benutzen, mit dem Hinweis, dass die enorme Geschwindigkeit von damals etwa 40 Stundenkilometern den Reisenden den Verstand rauben und in den Wahnsinn führen müsse.

Seitdem haben sich die Vorstellungen von dem, was in den Wahnsinn führt, grundlegend geändert. Die Beschleunigung der Welt ist zur Inkunabel des Fortschritts geworden, die sich nicht nur auf die Mobilität sondern auch auf wirtschaftliche Prozesse und die allgemeine Kommunikation erstreckt. Selektion der Wahrnehmung wird zur Überlebensstrategie, wo Texte und Bilder fluten und ihre Netze über Augen und Ohren werfen.

Der Mensch hinkt seinen Möglichkeiten hinterher, weil er seit der Steinzeit auf zwei Beinen zu stehen gewohnt ist, die ihn nur begrenzt zu tragen fähig sind. Das Auge schweift und meldet mehr als das Gehirn, als der Verstand zu lagern vermag. Die Werbung profitiert von diesem Phänomen, wenn in die allabendlichen Fernsehfilme Einschaltungen vom Bruchteil einer Sekunde eingeschleust werden, lang genug um im Unterbewussten abgespeichert zu werden. Ethikkommissionen schreien auf, das Opfer Mensch frisst sich selbst.

Man könnte diese Suada missverstehen als ein Lamento in all zu finsterer Zeit, die uns zwingt zu lernen, ob wir wollen oder nicht, aber Sigmund Freud hatte wohl recht, wenn er meinte, dass alles Lernen auf der leeren Kreidetafel einer Höhlenwand beginnt, seit der Mensch aus der Natur herausgefallen ist.

Das Unbehagen an der Kultur ist ein strukturelles, weil es die Species Mensch von Grenze zu Grenze treibt und ihr wenig Gelegenheit zum Verschnaufen gönnt, wenn sie es sich nicht selbst gestattet. Regression raunt der Pessimist, Nischenkultur der Zyniker. Das Nebeneinander der Geschwindigkeiten aber mag Beschleunigung erst sinnhaft machen, trotzt der Optimist, welcher den Rausch der Beschleunigung nicht zur bachernalischen Religion erhebt, dem Götzendienst am Fortschrittsglauben.

Hermann Staudinger hat sich der Mühe unterzogen, verschiedene Geschwindigkeiten auszukosten. Aufenthalte in New York, Marokko oder Nepal haben seinen Blick geschärft für Rhythmen, Tempi und subtiles Crescendo. Der gebürtige Schwanenstätter ließ sich in Wien an der Hochschule für angewandte Kunst zum Graphiker ausbilden und hat, wie er es selber formulierte, darauf seine eigene Position geklärt. Die Titel seiner Ausstellungen reflektierten immer wieder diese Findung der Position, „Reise zu den Quellen“, „ich bin“, „wir sind“, „Heil“ oder „Erfülltes“ spiegeln dieses Staunen einer Position wieder. Es sind dies Pendelschläge des Atmens, die sich nicht dem atomisierten Ich allein verpflichtet wissen, sondern den Menschen in seinen sozialen Bedingungen stellen, in der Gelassenheit, Teil eines Ganzen zu sein.

Dies geschieht bei Staudinger einerseits durch den locus iste seiner Präsentation, der Markierung von Orten in der Arbeitswelt, die er konfrontiert mit den ganz anderen Tempi schlafender Hunde beispielsweise, wie sie heute auch gezeigt werden. Was geschieht in einem hektischen Büro, wenn Menschen, für die Stress zur Normalität geworden zu sein scheint, auf einen Straßenköter treffen, der nicht einmal weiß, wie man Stress schreibt. Ein Wesen, das ungesichert einfach schlafen kann in der Hitze und dem Staub eines südöstlichen Metropole, wird zur Metapher eines Gegenentwurfs, zum Fragezeichen an das Dogma Stress. wessen Zeit ist erfüllt, die des Hundes oder die des Stressmenschen, oder sind sie erst gemeinsam Repräsentanten und Inkarnationen des einen Seins?

Solche Fragen stehen für einen verlangsamten Blick auf das Leben und seine Wahrnehmung. hier werden sich scheinbar widersprechende Momentaufnahmen buchstabierbar. Das geschieht ebenso aber auch in der Täuschung der Materialität seiner Zeichnungen: seine Wolkenbilder der 90er Jahre zeichnen die schnell gemachten Photos nach, die sich aus einer Reihung unterschiedlich dichter Kreise zusammensetzen. Die Körnung als Produkt eines phototechnischen Verfahrens wird nicht nur sichtbar gemacht sondern in der händischen Reproduktion verkehrt zu einem meditativen Gang durch das scheinbar sinnlose Detail, das im methodischen Perspektivwechsel erst bewusst wird.

Die Austauschbarkeit von reproduzierter Schnelligkeit und mühsam nachzeichnender Langsamkeit wird aber nirgends schimmernder und chamäläonhafter als in der Anwendung dieser Technik als Grattage, indem die Nachzeichnung der Punkte sich als Verletzung einer vergoldeten Fläche niederschlägt. Es sind Zeitungsbilder, die von der Schnelligkeit der Alltäglichkeit des Medienbetriebs künden, schnell geschossen, schnell in der Redaktion ausgewählt und vom Leser überflogen um ebenso schnell eine Nachricht vom vergangenen Tag zu sein und im Mistkübel zu enden.

Verletzen solche Bilder die goldene Aura des Göttlichen nur, oder sind sie, in der Tat eine gewagte These, Teil dieses Göttlichen, das alles Sein hält und trägt, selbst und gerade in seiner scheinbaren Banalität oder auch seiner reißerischen Dramatik der täglichen Wichtigkeit?

Die Wirkung des Materials Gold auszukosten ist für Staudinger seit mehr als sieben jahren Thema, das ihn in verschiedene Richtungen getrieben hat. Seine Foren, leere, vergoldete Rahmen, strahlen und beleuchten Umgebung, bilden mit dem Untergrund oder der Hängfläche einen Hof aus, der so besetzt wird. Die Form der Stadionränge einer austauschbaren Arena werden vom Glanz der Zuschauerränge beleuchtet und reflektiert im buchstäblichen Sinn des Wortes. Kommunikation und ihre Medien ihrer Inszenierung werden hier schimmernd wie das material selbst. Überhöhung und Wichtigkeit, Verkehrung der Wahrnehmung und Perspektivwechsel gehen hier eine handgreifliche Symbiose ein, die als Fragezeichen auch den Betrachter einlädt, sich selbst in dieser Inszenierung zu spiegeln.

Kein eindeutiges Konzept wird hier als wahr angepriesen sondern die Erdung des Durchschreitens, die händische Langsamkeit in der Verkehrung der Produktionsprozesse dient dabei als Kontrollmechanismus, man könnte auch sagen als auferlegte Demutsübung des allzu schnellen Geistes, dessen Gefahren wir alle allzu gut kennen und doch noch nicht gelernt haben, mit ihnen so umzugehen, dass wir nicht von ihnen beherrscht werden.

Die Kunst des Überlebens wird vielleicht darin bestehen, soviel Demut zu lernen, dass wir gelegentlich unsere Schritte verlangsamen, wie unsere Augen und auch Worte. Wir hätten dann die Chance Worte wie Beschleunigung wirklich zu begreifen und ihren Anspruch relativiert wahrnehmen zu können mit der Reife jener Distanz, aus der uns die Wirklichkeit nicht einfach notwendig verschlingt, sondern umgänglich macht. Die Reaktionen auf die Flutwelle im indischen Ozean haben auf erschreckende Eeise verdeutlicht, wie wenig der westlich geprägte Mensch bisher gelernt hat. Je wichtiger er sich selbst nimmt, desto lächerlicher wird er.

Diese Ausstellung mag dazu beitragen, ein wenig dazu zu lernen.